FALLDARSTELLUNG Oktober 2023
ESMAIL ABDI – IRAN
Gewerkschafter und Menschenrechtler in Haft
Der Lehrer Esmail Abdi wurde wegen Anklagen, die die Sicherheit des Staates betrafen, zu einer Gefängnisstrafe von 6 Jahren verurteilt. Er hatte sich in friedlichen Aktionen für Rechte der im Bildungswesen Beschäftigten eingesetzt. Diese Haftstrafe verbüßte er seit 2016. Danach wurde aber eine ausgesetzte Verurteilung zu 10 Jahren aus dem Jahr 2010 wieder in Kraft gesetzt. Sein Anwalt berichtete im November 2022, dass nach Aussage des Richters in seinem Fall dieses Urteil aber zur Bewährung ausgesetzt sei und nicht mehr vollstreckt werde. Trotzdem wurde er nicht freigelassen.
Esmail Abdi ist Mathematiklehrer. Er war früher Generalsekretär der Lehrervereinigung (ITTA) in Teheran und Mitglied des Führungsgremiums. Er verbüßt eine sechsjährige Haftstrafe im Evin-Gefängnis in Teheran seit Juni 2015 und nach einer Beurlaubung gegen Kaution wieder seit Dezember 2016.
ANKLAGEN UND VERURTEILUNGEN
Esmail Abdi wurde am 27. Juni 2015 inhaftiert, nachdem er im Büro des Staatsanwaltes wegen eines Reiseverbots vorgesprochen hatte. Er wurde dann 40 Tage in Einzelhaft gehalten, Zugang zu seinem Anwalt hatte er in dieser Zeit nicht. Vor seiner Inhaftierung wurde er mehrmals vom Geheimdienst der Revolutionsgarden vorgeladen. Man wollte ihn zwingen, seine Position bei der Gewerkschaft aufzugeben und die landesweit geplanten Lehrerdemonstrationen abzusagen. Er wurde dann im Februar 2016 vom Revolutionsgericht in Teheran zu 6 Jahren Haft verurteilt. Anklagepunkte waren u.a. „Verbreitung von Propaganda gegen den Staat“ und „Versammlung und Verschwörung, um Straftaten gegen die nationale Sicherheit zu begehen“.
Nach Beendigung dieser Haftzeit musste er eine weitere Haftstrafe von 10 Jahren aufgrund einer Verurteilung aus dem Jahr 2010 verbüßen. Die Anklage lautete damals „Sammlung von Informationen zur Störung der nationalen Sicherheit“ und „Propaganda gegen den Staat“. Das Urteil wurde für 5 Jahre ausgesetzt. Nach Ablauf dieser Zeit hätte die Verurteilung eigentlich null und nichtig sein müssen, wie sein Anwalt mitteilte. Im April 2020 wurde das Urteil aber wieder in Kraft gesetzt.
Die Anklagen rühren von seiner gewerkschaftlichen Arbeit her. Er hatte friedliche Demonstrationen von Lehrern und Gewerkschaftsmitgliedern organisiert, um gegen die niedrigen Löhne, die Unterfinanzierung des Erziehungsbereichs und die Inhaftierung von gewerkschaftlich organisierten Lehrer*innen zu protestieren. Die Proteste wandten sich auch gegen die Behinderung internationaler Kontakte vor allem im gewerkschaftlichen Bereich, wie zur weltweit tätigen Lehrergewerkschaft (Education International).
Seine Gerichtsverhandlung war grob unfair. Ihm wurde ein Verteidiger seiner Wahl verweigert, auch schon während der Untersuchungshaft. Im Prozess selbst wurde er von einem Pflichtverteidiger begleitet. Seinem Verteidiger wurde bis zum Prozess keine Akteneinsicht gewährt. Er war dann gegen Kaution in Freiheit, bis das Berufungsgericht im Oktober 2016 das Urteil bestätigte. Am 9. November 2016 kam Abdi wiederum in Haft. Später wurde noch eine weitere gerichtliche Überprüfung des Urteils abgewiesen.
ESMAIL ABDIS HAFTZEIT UND HAFTBEDINGUNGEN
Am 30. April 2017 trat Esmail Abdi in einen Hungerstreik, um gegen die Kriminalisierung friedlicher gewerkschaftlicher Arbeit zu protestieren. In einem offenen Brief vom 22. April 2017 stellte er diese Fragen: „Ist es eine Straftat, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein und an friedlichen Demonstrationen teilzunehmen? Ist es eine Straftat, sich gegen den Diebstahl öffentlicher Mittel zu wenden? Ist es eine Straftat, Unterschriften für eine Petition an die Regierung mit der Aufforderung zu sammeln, sie solle sich an das Gesetz halten?“
Am 9. Januar 2018 erhielt er kurzfristig Hafturlaub.
Esmail Abdi begann am 25. April 2018 erneut einen Hungerstreik, um gegen die schlechte Bezahlung von Lehrkräften, die Haushaltskürzungen für das Bildungswesen, die Inhaftierung von Gewerkschaftern und die Ablehnung seiner Anträge auf Haftverschonung zu protestieren.
Am 17. März 2020 wurde ihm gegen Kaution Hafturlaub gewährt. Als er am 20. April um eine Verlängerung nachsuchte, wurde er wieder ins Evin-Gefängnis gebracht.
Am 9. August 2020 ergab ein Test, dass Esmail Abdi und 11 Mitgefangene sich mit dem Corona-Virus infiziert hatten. Daraufhin protestierten die Gefangenen mit einem Sitzstreik im Hof gegen die Haftbedingungen und forderten Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus. Seine Ehefrau Monireh Abdi berichtete in einem Interview mit „Voice of America“ am 30. Oktober 2020, seit seiner Infektion leide ihr Mann unter Schmerzen auf der linken Körperseite, Asthma und erhöhtem Blutdruck.
Am 7. März 2021 begann Esmail Abdi wegen Beschränkungen beim Telefonieren mit seiner Familie wieder einen Hungerstreik, den er nach Rücknahme der Beschränkungen 3 Tage später beendete. Möglicherweise als Bestrafung wurde der Gefangene dann vom Evin Gefängnis in die Isolierabteilung des Zentralgefängnisses von Alborz verlegt. Ein Schreiben seines Anwalts wegen der zusätzlichen 10 Jahre Haft an den Chef der Judikative blieb ohne Antwort.
Am Tag der Arbeit, dem 1. Mai 2022, trat er wieder in einen Hungerstreik. Er protestierte damit gegen die Inhaftierung und die Gefängnisstrafen für Lehrergewerkschafter sowie die Angriffe gegen sie und ihre Familien und gegen das unfaire Gerichtsverfahren in seinem Fall. Am 4. Mai wurde er vom Alborz-Gefängnis in den Quarantänetrakt des Kachuie-Gefängnisses verlegt. Am 9. Mai musste er wegen zu geringem Blutzuckerspiegel und Bluthochdruck sogar in die dortige Gefängnisklinik eingewiesen werden. Seine Familie wurde aufgefordert, über seine Situation Stillschweigen zu bewahren.
Am 12. September 2023 erhielt Esmail Abdi kurzzeitig gegen Kaution Hafturlaub. Grund war die zunehmende Verschlechterung des Gesundheitszustands seines Vaters. Dieser verstarb am 23. September 2023. Nach dessen Beerdigung musste er aber am 5. Oktober, dem Internatio-nalen Tag des Lehrers, zurück in Haft.
Anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an Narges Mohammadi im Oktober 2023 verfasste Esmail Abdi ein Gratulationsschreiben, in dem er unter anderen die Standhaftigkeit von Frau Mohammadi in der „Verteidigung elementarer Menschenrechte, des Friedens und der Toleranz“ lobt.
Esmail Abdis Frau konnte mit ihren zwei jüngeren Kindern durch Unterstützung der Gewerk-schaft GEW im Januar 2023 nach Deutschland ausreisen.
VERSCHÄRFUNG DER LAGE FÜR LEHRPERSONAL UND GEWERKSCHAFTLICH AKTIVE LEHRER*INNEN SEIT DEN PROTESTEN IM HERBST 2022
Die Menschenrechtsorganisation „Center for Human Rights in Iran“ berichtete im September 2023 von einer Art „Säuberungswelle“ im iranischen Bildungswesen. Seit Beginn der Proteste im September 2022 seien mindestens 97 Lehrer*innen verhaftet oder inhaftiert worden und 24 wegen angeblicher Unterstützung der Proteste verurteilt worden. Außerdem seien Hunderte von Gewerkschafter*innen entlassen worden. Nach Auskunft des iranischen Bildungsministers Sahraie wurden auch mindestens 20.000 Schulleiter*innen ihres Postens enthoben und durch Gefolgsleute der Regierung ersetzt, weil sie die Politik der Regierung kritisierten oder sich weigerten, die Zwangsverschleierung an ihren Schulen durchzusetzen oder mit den Sicherheitskräften zusammenzuarbeiten.
Am 23. September 2023 verkündete der jetzige Sprecher der Iranischen Lehrergewerkschaft (ITTA), Mohammad Habibi, dass er wegen seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit nach 21 Dienstjahren entlassen worden sei. Auch er war von Mai 2022 bis Februar 2023 in Haft. Von Januar bis September 2023 wurden nach seinen Angaben gegen etwa 200 Lehrer*innen disziplinarische Maßnahmen ergriffen, etwa 100 gewerkschaftlich Tätige wurden in den vorzeitigen Ruhestand versetzt oder ihre Beschäftigung wurde ausgesetzt und knapp 20 wurden entlassen.
Ein neues Gesetz legt laut Auskunft von Bildungsminister Habibi fest, dass Lehrer*innen künftig einmal jährlich auf ihre ideologische Zuverlässigkeit überprüft werden sollen. Dabei solle auch ihr Verhalten außerhalb der Schule und auf sozialen Medien überwacht werden.